Hansken in de krant; Neue Zürcher Zeitung, 13 januari 2014

Der Elefant als Zirkustier und als Projektionsfigur

Weise, erhaben – und erniedrigt

Der Elefant hat ausser seinem eigenen und natürlichen Leben auch eines in der Mythologie und ein weiteres unter der Knute der Menschen, die ihm Intelligenz zuschreiben und ihn doch dressieren.

Urs Hafner

Vielleicht ist der Mensch tatsächlich nur ein Tier unter anderen Tieren, wie Biologen und neuerdings auch Philosophen – wieder – betonen. Allerdings ist es ihm gelungen, sich alle anderen Tiere untertan zu machen, ob diese nun im Schlachthof enden, als Lebensgefährten Trost spenden oder im Nationalpark leben. Manche Tiere dienen ihm über den unmittelbaren Nutzen hinaus, den er aus ihnen zieht, als Identifikations- und Projektionsfiguren. Schöpfungsmythen zeugen ebenso davon wie Märchen und Sprichwörter. Der Fuchs ist hinterhältig, der Wolf böse, das Schwein schweinisch, der Elefant weise und erhaben.

Ausgestellte Exotik

Das Bild des hehren Elefanten ist tief in unserem kulturellen Gedächtnis verankert. Es hat selbst die Entwertung durch den Zirkus überdauert. In buntes Licht getaucht und exotisch geschmückt, hebt das grosse graue Tier in der Manege auf Kommando sein Vorderbein, während die Kapelle einen Tusch spielt – eine für ein weises Lebewesen erniedrigende Szene. Wir überbrücken die kognitive Dissonanz, indem wir in den stoischen Bewegungen einen Anflug von Trauer sehen. Weil es keine andere Wahl hat, so sagen wir uns, schickt das intelligente Tier sich in sein Los; wahrscheinlich durchschaut es den ganzen Zauber und verachtet uns.

Die im Grunde groteske Zirkusszenerie – würde das Tier nicht lieber in einem Sumpf sich wälzen, als im Sägemehl zu tänzeln? – bezieht ihre Selbstverständlichkeit aus der Tradition. Der Zirkus gehört seit dem 19. Jahrhundert zur westlichen Unterhaltungsindustrie. Vor seinem Aufkommen zogen kommerzielle Tierschauen, die ihren Sitz in den Niederlanden und England – beides Kolonialmächte – hatten, durch Europa und stellten Elefanten, Tiger, Affen und Nashörner aus. Der erste lebende Elefant war in der Schweiz wahrscheinlich bereits im 17. Jahrhundert zu sehen. Auch die alpine Republik, die weder Kolonien noch einen Meerzugang besass, war Teil des damaligen kolonialistischen Machtgefüges, das von Fürsten und Königen dominiert wurde, die sich exotische Lebewesen als Prestigeobjekte in Menagerien hielten und an Festen ausgewählten Gästen vorführten.

Im Juli 1651 zog ein niederländischer Händler mit dem Tier in die Stadt St. Gallen ein. Es sei so gross, dass es kaum durch das Brühltor gepasst habe, notierte ein Chronist. Im September wurde der Elefant in Zürich gezeigt, nachher in Luzern, Bern, Solothurn, Basel und schliesslich wieder in den Niederlanden. Bürger und vielleicht auch Angehörige des einfachen Volks konnten das dressierte Tier bestaunen, sofern sie das Eintrittsgeld aufbrachten. Auf Reklameplakaten schlägt Hansken (Hänschen) – so hiess der weibliche und weisse Elefant – mit dem Rüssel eine Trommel, schwenkt eine Fahne, liest Münzen vom Boden auf, ficht mit einem Degen und schiesst sogar mit einem Gewehr.

Hanskens Leben glich einer Odyssee (der Publizist Michiel Roscam Abbing hat die Stationen in dem 2006 erschienenen Büchlein «Rembrandts olifant. Het verhaal van Hansken» minuziös rekonstruiert). 1633 war das dreijährige Tier, zusammen mit einem Tiger, auf einem Schiff der Niederländischen Ostindien-Kompanie, einer der mächtigsten Handelsgesellschaften jener Zeit, von Ceylon (heute Sri Lanka) nach Amsterdam gebracht worden. Ceylons Herrscher hatte den Elefanten zuerst dem niederländischen Befehlshaber auf Jakarta geschenkt, der das Tier dann dem Prinzen von Oranien in die Niederlande weiterreichte. Weil dieser vom König von Persien bereits ein Kamel und aus Afrika einen Schimpansen erhalten hatte, schenkte er Hansken seinem Neffen, der ihn seinerseits einem Schausteller verkaufte. Dieser veräusserte ihn schliesslich dem niederländischen Händler.

Unter dem «Meester van de Olifant», wie dieser sich anpries, wurde Hanskens Leben nicht weniger unstet. Er reiste kreuz und quer durch ganz Europa, bis er 1655, erst zweiundzwanzigjährig, in Florenz starb. Die von ihm erhaltenen Darstellungen – darunter mehrere von Rembrandt – lassen vermuten, dass Hanskens Gesundheitszustand sich zunehmend verschlechterte, weil er nicht gut gehalten wurde. Auf der Zeichnung, die der Maler Jeremias Glaser in Basel angefertigt haben soll, fallen der aufgedunsene Bauch und die verwachsenen Fussnägel ins Auge. Auch das raue Klima dürfte dem Tier kaum zuträglich gewesen sein. Zudem muss es sich allein gefühlt haben, da es keine Kontakte zu Artgenossen unterhalten konnte.

Von Hanskens Auftritten in der Schweiz sind fast keine schriftlichen Aufzeichnungen überliefert. Weshalb hielten die damaligen Theologen und Naturforscher ihre Eindrücke des spektakulären Ereignisses nicht fest? Vielleicht erging es ihnen wie jenem italienischen Humanisten, der beim Anblick des ersten Elefanten, den er im Wien des 16. Jahrhunderts erblickte, enttäuscht notierte, das Tier gleiche einem Schwein, weil es alles fresse, was man ihm vorsetze. Für die Zeitgenossen war der Elefant ein schamhaftes und tugendhaftes Tier. Diese Vorstellung kollidierte wohl mit der Realität, wie sie ein Hansken verkörperte, eine wahrscheinlich von Krankheit gezeichnete, von einem suspekten Abenteurer dressierte und wohl malträtierte Kreatur, die läppische Kunststücke vollführte.

Konrad Gessner vermittelte in seinem verbreiteten «Thierbuch» von 1560 das dominante Elefantenbild. Nach dem Menschen sei kein Tier «mit so viel Tugenden, Weisheit, Frömmigkeit und Zucht begabt» wie der Elefant, schrieb der Zürcher Gelehrte. Der Elefant lebe keusch, rein und bescheiden und breche die Ehe nicht. Sobald das Weibchen trächtig sei, hätten die Tiere «Abscheu vor weiterer Üppigkeit». Sie verehrten die Sonne und den Mond und verliessen ihre Eltern nicht. Gessner trug, wie in der Renaissance üblich, alle ihm zugänglichen Quellen zusammen. Er hielt auch die wohl im höfischen Kontext entstandene Geschichte fest, dass männliche Elefanten mit ihren Rüsseln gern die Brüste schöner Frauen betasteten. Vorherrschend jedoch ist das Bild eines edlen Lebewesens, das menschliche Züge aufweist, dem Menschen aber moralisch überlegen ist.

Plinius und Aristoteles

Gessner zitierte ausgiebig Plinius und Aristoteles. Ersterer hielt in seiner «Historia naturalis» fest, der Elefant sei dem Menschen verstandesmässig am nächsten – er berichtet gar von einem Exemplar, das imstande sei, auf Griechisch zu schreiben –, er sei scham- und tugendhaft und pflege religiöse Riten. Für die Fortpflanzung verbärgen die Tiere sich in einem Gebüsch. Plinius bezog sich auf Aristoteles. Dessen Beschrieb des Elefanten in der «Historia animalium» fiel nüchterner aus. So bemerkte der Philosoph, die Geschichte, dass Elefanten im Stehen schliefen, weil sie sonst nicht wieder aufstehen könnten (sie wird noch von Gessner überliefert), sei nicht wahr. Doch auch er hielt den Elefanten für intelligenter und, modern gesprochen, sexuell zurückhaltender als andere Tiere.

Ein Aspekt des traditionellen Elefantenbilds indes ist verschwunden. Nur noch Hannibals legendäre Alpenüberquerung, an der mehrere Dutzend Elefanten beteiligt gewesen sein sollen, erinnert daran, dass das Lebewesen in der Antike als Kriegstier diente. Es galt als gut dressierbar und mit Alkohol leicht in Rage zu bringen. Der heutige Zirkusbesucher würde sich über den Gedanken empören, das friedliche Tier in einem Krieg einzusetzen. Dass es unterworfen wird, wenn es sich auf seinen Hinterbeinen aufrichtet, stört ihn nicht.

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